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Personalmanagement

Disrupt Corporate Learning: Von einer HR-Diktatur zur Eigenverantwortung der Mitarbeitenden

Redaktion
Veröffentlicht: 24 Januar 2020
Upgedatet: 20 Februar 2023
Lächelnde Büroangestellte lernen in einer Peer-to-Peer-Schulung im Büro und geben sich ein High Five.

Nina Haber ist bei Babbel Inhouse-Trainerin (Personalerin) und Mitgründerin der Babbel-Academy, dem internen Fortbildungsprogramm. Sie plädiert für eine neue Weiterbildungskultur der Mitarbeitenden. Warum sie ein Umdenken der HR fordert und wie die neue Weiterbildungskultur aussehen soll, erklärt sie uns exklusiv:

Vor einigen Jahren arbeitete ich im Vertrieb eines Start-ups mit knapp 25 Mitarbeitenden. Innovativ, engagiert, dynamisch: Eine Unternehmenskultur von der andere Unternehmen nur träumen. Doch dann wurde ein hoch ausgefeiltes Organisationssystem mit Stellenbeschreibungen für die Mitarbeitenden eingeführt. Auf einmal durfte jeder nur noch genau das tun, was für die jeweilige Stelle vorgesehen war. Binnen kürzester Zeit kippte die Atmosphäre: Aus mitreißendem Engagement wurde innerhalb von sechs Wochen ein starres Arbeitsklima. Anstatt auf den einst wöchentlichen Treffen kreative Ideen auszutauschen, wurden die Mitarbeitenden – angeblich aus Effizienzgründen – nur noch einmal im Monat zusammengerufen. Nach zwei bis drei dieser „neuen“ Treffen erschien nur noch die Hälfte des Teams. Für Aufgaben jenseits der angelegten Tätigkeitsprofile fühlte sich nun keiner mehr verantwortlich. 

Ein System lähmt in kürzester Zeit das ganze Unternehmen

Ein Einzelfall? Leider nein. Denn Beispiele, in denen hoch entwickelte Organisationssysteme scheitern, kenne ich durch meine Berufserfahrung zu genüge – auch im Bereich der beruflichen Weiterbildung. Seit Jahren beobachte ich Personaler und Personalerinnen, die versuchen, für die Mitarbeitenden die besten Trainings und Lehrpfade zu organisieren. Dies fängt mit beschriebenen hoch detaillierten Stellenausschreibungen an und endet mit Verordnungen zu exakt ausgewählten Fortbildungen. Egal ob Baggerfahrer oder Managerin – die Karriere wird zu einem langen lehrreichen Weg mit dem Ziel, dass die Mitarbeitenden sich irgendwann wie Puzzleteile in vordefinierte Kompetenzprofile einfügen. Das Problem: Die meisten solcher Initiativen kosten sowohl dem HR-Team als auch den Mitarbeitenden viel Zeit und Energie und am Ende landen die komplexen Pläne in der Schublade und alle Beteiligten sind frustriert.

Doch warum scheitern solche ausgefeilten und autoritären Systeme eigentlich? Und viel wichtiger: Welche Lösungen kann das Personalteam bieten, damit sich die Mitarbeitenden trotzdem weiterbilden?

5 Gründe, warum wir eine HR auf Augenhöhe brauchen

Photo by Soroush Karimi on Unsplash

#1 Die vereinheitlichte Stellenausschreibung

Das Scheitern von Lernpfaden und Kompetenzprofilen beginnt meines Erachtens schon bei der Vereinheitlichung von Stellenausschreibungen.

Um dies zu erklären, würde ich Ihnen gerne eine Frage stellen: „Wie viele Personen haben in Ihrem Unternehmen genau die gleiche Tätigkeit?“ Wenn Ihnen nur wenige oder gar keine Mitarbeitenden einfallen, wundert mich das nicht. Heutzutage gibt es nur noch sehr wenige Unternehmen, bei denen Berufe in Anforderungen, Aufgaben und Verantwortung vollständig übereinstimmen. Also erstellt das Personalteam Berufsfamilien. Die Gruppierung von Kompetenzen scheint eine Balance zwischen Individualisierung und Standardisierung zu sein. Doch auch hier bleiben die Kompetenzprofile vereinheitlicht – nur innerhalb einer Berufsfamilie. Die Schwierigkeit, Stellen zu gruppieren, zeigt sich nicht zuletzt in der hohen Anzahl der geschaffenen Berufsfamilien. Diese liegen bei großen Unternehmen teilweise sogar im dreistelligen Bereich, schließlich gruppieren Unternehmen gerne auch noch nach Karriere-Entwicklungsschritten innerhalb einer Berufsfamilie.

#2 Jeder ist individuell – auch in seiner Karriere

Ist es einem Unternehmen einmal gelungen vereinheitlichte Stellenbezeichnungen auszumachen, finden sich diese – versteckt hinter Anglizismen und Floskeln – in den unzähligen Stellenausschreibungen wieder. Doch leider passen sie längst nicht auf alle Bewerbenden. Schließlich haben alle in ihrem Leben unterschiedliche Erfahrungen gesammelt und bringen dementsprechend auch unterschiedliche Motivationen und Kompetenzen mit in das Unternehmen – und seien wir ehrlich, ist nicht genau diese Vielfalt an Mitarbeitenden das, was sich moderne Unternehmen wünschen?

Auch im weiteren Verlauf der Karriere zeichnet sich die Standardisierung als schlichtweg unzureichend aus. Abgesehen von den unterschiedlichen eigenen Erfahrungen, haben nicht auch alle Mitarbeitende eigene Erwartungen und Wünsche für die ihre Karriere? Die persönliche Entwicklung ist bei jedem Menschen individuell, womit sich auch jede Karriere nur individuell entwickeln kann.

Dass Standardisierung zum Scheitern verurteilt ist, ist offensichtlich und längst kein Geheimnis mehr. Trotzdem sind vereinheitlichte Kompetenzprofile und Lehrpfade in Unternehmen immer noch weit verbreitet und haben sich nur in wenigen Fällen an die Bedürfnisse von Mitarbeitenden unserer heutigen Zeit angepasst. Ist die Lösung also Individualisierung?

#3 Individualisierung und die anmaßende Allwissenheit

Individualisierung klingt nach einer großen Erkenntnis und dennoch birgt auch diese ein großes Problem. Denn verbunden mit der Individualisierung, denken viele Personaler und Personalerinnen, sie wüssten was die Mitarbeitenden individuell wissen sollten und wollen. Zu oft höre ich von Führungskräften, Kollegen und Kolleginnen, dass Mitarbeitende eine Aufgabe nicht gut genug erfüllen, weswegen sie ihnen unbedingt X beibringen müssen und ihnen eine Schulung verordnen.
Dann stellt sich mir aber die Frage: Was denken sich die Personen (mich inbegriffen) im HR-Team eigentlich, wer sie sind, dass sie wissen, was die einzelnen Teammitglieder brauchen und was sie sich für die persönliche Entwicklung wünschen? Und wie motivierend kann es für Mitarbeitende sein, wenn ihnen – oftmals trotz guter Performance – diktiert wird, was sie angeblich nicht können?

In der Vergangenheit wurde ich häufig als Trainerin für solche Schulungen engagiert und kann nur feststellen, dass die Qualität solcher „erzwungenen“ Trainings deutlich hinter der Qualität von freiwillig und eigenständig ausgewählten Schulungen zurückbleibt.

#4 Karriere für einen langen Zeitraum vorausplanen

Nehmen wir an, die ersten drei Schritte konnten durch allwissende Personen im Personalteam und Management tatsächlich zufriedenstellend erfüllt werden.

Dann bleibt es mir im nächsten Schritt immer noch ein Rätsel, warum Karrieren der Mitarbeitenden über einen Zeitraum von teilweise bis zu zehn Jahren geplant werden. Es ist doch offensichtlich, dass Zeiten, in denen Mitarbeitende ein Leben lang in demselben Unternehmen arbeiten, vorbei sind. Erst neulich beobachtete ich eine Diskussion, in der es darum ging, wie junge Mitarbeitende langfristig an das Unternehmen gebunden werden können. Warum konzentrierte sich die Diskussion nicht lieber darauf, das Bestmögliche für die Mitarbeitenden und das Unternehmen während ihrer Zeit im Unternehmen herauszuholen? Das heißt für Unternehmen, sich auf den Zeitraum zu fokussieren, indem die Mitarbeitenden auch wirklich in dem Unternehmen tätig sind. Heutzutage entspricht dieser ungefähr zwei bis vier Jahre.

#5 Das Wissen um die Zukunft

Planung über einen langen Zeitraum hinweg birgt noch eine weitere, nahezu unlösbare Aufgabe. Denn wenn wir Karrieren und Kompetenzen über fünf oder gar zehn Jahre planen, setzen wir voraus, dass wir die Zukunft des Unternehmens kennen. Doch wer kann uns heute sagen, welche Stellenbezeichnungen, Arbeitsplätze und Kompetenzen wir in zehn Jahren benötigen? Ich kann es nicht, denn Zukunft bleibt eine Fiktion und ist damit zumindest in großen Teilen unplanbar.

disrupt hr2 future babbel

Die Lösung: Eine HR auf Augenhöhe

Gibt es überhaupt einen Ausweg, wenn Planungen, Kompetenzprofile, Standardisierungs- und Individualisierungsmaßnahmen zum Scheitern verurteilt sind?

Ich sehe die Lösung in der Übernahme von Eigenverantwortung für die persönliche Weiterentwicklung. Mitarbeitende sollten freiwillig entscheiden können, welche Trainings für sie notwendig und relevant sind und wie viele sie wann besuchen wollen. Meine Erfahrung zeigt, dass gerade dann, wenn Trainings durch eigenständige Motivation besucht werden, die Qualität des Lernens deutlich steigt und sich der Erfolg auszahlt. Dies fordert vor allem ein Umdenken der HR, denn es verlangt Vertrauen in die Mitarbeitenden. Dieses Vertrauen zahlt sich aber in Form von Mitarbeitermotivation, persönlicher Weiterentwicklung und Performance doppelt und dreifach aus.

Zeit für eine neue Weiterbildungskultur

Als ich das erste Mal eine solche Schulungskultur in einem Unternehmen etabliert habe, war ich selbst erstaunt, wie gut die Trainings angenommen wurden. Schließlich waren meine Kurse damals noch Standardseminare und wenig modern. Trotzdem führte die freiwillige Basis dazu, dass die Mitarbeitenden mit einem viel größeren Interesse ein Training besuchten. Hochmotivierte Kollegen und Kolleginnen mit unterschiedlichsten Kompetenzen und kulturellen Hintergründen fanden in Kursen zusammen und haben ihr eigenes Wissen geteilt, sich kennengelernt und oft auch einfach nur gemerkt: Mit diesem Problem bin ich nicht alleine und andere haben bereits Lösungen dazu gefunden. Auch eine solche Erkenntnis ist für Mitarbeitende goldwert.

foto disrupt hr 3 Auch bei Babbel – ein Unternehmen mit fast 500 Mitarbeitenden – konnte ich eine solche Weiterbildungskultur einführen. Wir haben die Babbel Academy gegründet, zu deren Schulungen sich die Mitarbeitenden freiwillig anmelden können. Die Themen sind sehr vielfältig, kurzweilig und vor allem: praxisrelevant. Dass das so gut funktioniert, stelle ich immer wieder fest: Die Wartelisten sind lang, wir bekommen sehr gutes Feedback, wir beobachten einen intensiven und offenen Austausch zwischen Mitarbeitenden unterschiedlichster Qualifikationen und es entstehen viele neue Ideen und ganze Projekte. Inzwischen wird unser Angebot auch vermehrt von anderen Unternehmen angefragt. Daher haben wir unsere Seminare mittlerweile auch für Mitarbeitende von anderen Unternehmen mit ähnlicher Unternehmenskultur geöffnet.

Ein weiterer großer Erfolg ist, dass wir mit unserem Konzept immer mehr interne Trainer und Trainerinnen gewinnen konnten. Interne Lehrende sind in diesem Fall unsere eigenen Mitarbeitenden aller Hierarchiestufen, die ihr Wissen in Form eines Trainings allen Kollegen und Kolleginnen anbieten. Unsere Aufgabe als Organisatorinnen der Academy besteht in diesen Fällen in der Unterstützung bei der Trainingskonzeption durch sogenannte „Train the Trainer-Schulungen“ und Coaching. Außerdem organisieren wir die Teilnehmenden und Räume. Wenn alle Mitarbeitenden zusammenarbeiten und aus eigener Motivation Interesse an Fortbildungen zeigen, ist das für mich Wissensmanagement par excellence.

Fazit: 5 Tipps für eine HR auf Augenhöhe

  1. Vielfältige Angebote machen, unterstützen und coachen, statt vorschreiben.
  2. Den Fähigkeiten der Mitarbeitenden vertrauen und nicht vermutete „Wissenslücken“ per Dekret füllen wollen. Das wirkt demotivierend – und Motivation bewirkt häufig mehr als Qualifikation.
  3. Den Mitarbeitenden Verantwortung zurückgeben. Fachexperten und -expertinnen wissen sicher besser, was sie brauchen als das Personalteam.
  4. Die unternehmenseigenen Kompetenzen mehr nutzen anstatt nur externe Schulungen. So wird Wissen innerhalb des Unternehmens automatisch besser ausgetauscht und vermehrt.
  5. Den Mitarbeitenden die freie Entscheidung und Selbstbestimmung in punkto Themen und Anzahl von Fortbildungen anvertrauen. Oft ist gerade ein unerwartetes Training der Auslöser für wichtige Veränderungen und mehr Kreativität.

Disrupt HR Infographic

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